Masterdiplom für Primarlehrer/-innen?

In der heutigen NZZ am Sonntag (26. Mai 2013) ist zu lesen, dass der Lehrerverband will, dass angehende Primarlehrpersonen künftig einen Master machen sollen. Begründet wird diese höhere Qualifikation mit mehr Attraktivität des Berufs für Männer.

Bildschirmfoto 2013-05-26 um 10.15.02

Zudem reiche die Zeit von heute sechs Semesters nicht, um junge Lehrpersonen auf die gestiegenen Anforderungen im Unterricht vorzubereiten, wobei nicht der theoretische Teil ausgebaut werden soll, sondern vor allem der praktische. «Wir schlagen eine berufsbegleitende Masterstufe vor, welche Praxis und Theorie eng miteinander verknuüpft», sagt Zemp. Der Schweizerische Lehrerverband (LCH) sieht als Grund für diese Forderung die zunehmende Komplexitaüt der Aufgaben, mit der sich ein Berufseinsteiger konfrontiert sehen.

Gemeint sind unter anderem Gespraüche mit zunehmend anspruchsvollen Eltern, mehr Kinder ohne Deutschkenntnisse, aber auch der Umgang mit Gewalt oder Missbrauchsvorwuürfen an Schulen. In der Volksschule seien zunehmend solche Spezialkenntnisse gefragt, schreibt der LCH. Viele Schulen seien darum dazu uübergegangen, Expertinnen anzustellen. Gemeint sind etwa Sozialarbeiterinnen, Sprachlehrer fuür auslaündische Kinder und interkulturelle Vermittler. Kuünftig sollen Lehrer wieder dazu befaühigt werden, diese Aufgaben von Anfang an selbst zu uübernehmen.

Also primär zwei Gründe werden angeführt: mehr Karrierechancen für Männer und gestiegene Anforderungen. Liest man das Positionspapier des LCH sind die Gründe jedoch noch differenzierter:

  1. Für Lehrpersonen auf der Vorschul- und Primarstufe ist die Grundausbildung nicht ausreichend gewährleistet. Die Abschlusskompetenzen der Pädagogischen Hochschulen sind nicht harmonisiert. Wesentliche Rahmenbedingungen haben sich seit 10 Jahren geändert:
    1. Zunehmende Heerogenität, die Integration, die grösseren Klassen sowie die Reduktion von Halbklassen stellen höchste Anforderungen an Berufsanfänger/-innen bezüglich Klassenführung, Unterrichtsorganisation und Beziehungsgestaltung.
    2. Die Kommunikation mit anspruchsvollen Eltern zählt bei Berufsanfänger/-innen zu den grössten Herausforderungen.
    3. Die Ansprüche an die professionelle Kooperation und Kommunikation innerhalb der geleiteten und interdisziplinär arbeitenden Schulen hat zugenommen.
    4. Die Anforderungen für den Einstieg in die Grundausbildung sind angepasst worden: Eine Fachmatura reicht für einen Direkteinstieg. Quereinstiege sind mit Anrechung von Vorerfahrungen möglich. Die Abschlusskompetenzen für Stufen- und Fächerprofile sind untern den PH noch nicht harmonisiert.
  2. Die Möglichkeiten für eine Fachlaufbahn innerhalb des Berufs sind auf allen Stufen ungenügend ausgebaut. An den Schulen sind zunehmend auch Spezialkenntnisse gefragt.
    1. Für besonders herausfordernde Situationen (Gewaltvorkommnisse, Interventionen bei Missbrauchsverdacht, Kooperation mit dem Umfeld, Unterrichts- und Qualitätsentwicklung, Projektleitung, Kommunikation nach aussen, Praxisausbildung und Coachingn von neu einsteigenden Lehrpersonen etc.) werden an Schulen zunehmend Expertinnen und Experten eingesetzt.
    2. An grossen Schulen benötigt die Schulleitung Unterstützung in der Führung z.B. für Stufenleitungen und Projekte. Es braucht auch Lehrpersonen, welche pädagogische Leitungsfunktionen übernehmen, da in einigen Kantonen auch Schulleitungen ohne Lehrbefähigung angestellt werden können.
    3. Für die Attraktivität und Professionalität eines Berufs sind fachliche Spezialisierungen und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung im Beruf wesentlich.
    4. Altrechtliche Diplome müssen als Zugang für zertifizierte Weiterbidlungen an Fachhochschulen wie versprochen dem Bachelorabschluss gleichgestellt sein. Ansonsten sind innerhalb der Arbeitszeit und kostenlos „Passarellen“ einzurichten.

Ganz am Schluss des Papiers finden sich dann noch die Forderungen zur Grundausbildung und beruflichen Entwicklung von Lehrpersonen. Einige habe ich hier herausgegriffen:

Zum Weiterlesen auf den blauen Button klicken.

  • Die Grundausbildung für die Lehrpersonen der Eingangs- und Primarstufe wird um zwei Semester verlängert und schliesst auf Masterstufe ab. Die entsprechenden Anforderungsprofile werden überkantonal und mit Einbezug des LCH festgelegt.
  • Die Ausbildung auf der Masterstufe erfolgt zumindest während über einem Jahr berufsbegleitend und legt den Schwerpunkt auf die Anforderungen beim Berufseinstieg, den Unterricht in allen Fächern sowie auf die Herausforderungen der Klassenführung und Elternarbeit. Für die Sekundarstufen I & II werden die Grundausbildung ergänzende Weiterbildungen (CAS) angeboten.
  • An den Kooperationsschulen werden Mentoratspersonen fundiert ausgebildet. Die Schulen sind mit diesen Praxislehrpersonen in der letzten Ausbildungsphase Partner in der Grundausbildung.

Persönlich finde ich den Masterabschluss FH für Primarlehrpersonen einen Schritt in die richtige Richtung. Ich würde dies jedoch nicht hauptsächlich als einen Karriereanreiz vor allem für Männer sehen, sondern selbstverständlich auch für Frauen. Dass damit der Lehrerberuf gestärkt wird, liegt auf der Hand. Zudem sind die Anforderungen tatsächlich viel facettenreicher geworden und Berufseinsteiger/-innen brauchen vielfältigere Kompetenzen als noch vor 20 Jahren, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Dass auch in Teilen Deutschlands und in Österreich auf den Master umgestellt hat, unterstützt diesen Trend (vgl. die Presse).

Selbstverständlich gibt es auch kritische Stimmen. So stellt sich zum Beispiel Christian Amsler, Präsident der Deutschschweizer Konferenz der Bildungsdirektoren, entschieden gegen eine weitere Akademisierung. In der NZZ am Sonntag vom 26. Mai 2013 ist zu lesen:

Der Abschluss bedinge eine Masterarbeit, und diese schreibe man im stillen Kaümmerchen. «So eignet man sich bestimmt nicht mehr Kompetenzen fuür den Unterricht an», sagt Amsler. Ausserdem koste die Verlaüngerung der Ausbildung eine Stange Geld, und obendrein verschlimmere sie den in vielen Kantonen virulenten Mangel an Lehrpersonen. Daruüber hinaus sei er uüberzeugt, dass es in der Bevoülkerung gar nicht gut ankomme, wenn irgendwann sogar Kindergaürtnerinnen einen Master vorweisen muüssten. «Schlecht fuürs Image», lautet Amslers abschliessendes Urteil.

Auch schon früher konnte in der Presse Kritisches gelesen werden. Im Tages-Anzeiger vom 9. Juli 2010 finden sich zum Beispiel die folgenden Argumente:

  • Die geforderte Aufstufung zu Masterabsolventen sei «bloss eine verkappte Forderung nach mehr Lohn», sagt Ruedi Noser, Vizepräsident der nationalrätlichen Bildungskommission. Gar nichts hält Noser vom Credo des LCH, dass ein generelles Masterstudium die Attraktivität des Lehrerberufs steigern würde: «Mit einem verlängerten Studium steht der Beruf erst recht in Konkurrenz zu Physikern, Medizinern oder Juristen.»
  • Die CVP-Bildungspolitikerin Kathy Riklin sieht das genauso: «Wenn man das Studium verlängert, werden sich noch weniger Männer für den Lehrerberuf entscheiden und lieber gleich einen attraktiven Job in der Finanz- oder Versicherungsbranche anstreben.» Eine «weitere Akademiserung» des Pädagogenberufs sei grundfalsch, sagt die Nationalrätin. Sie plädiert dafür, die Ausbildung der Kindergärtnerinnen auf zwei Jahre zu reduzieren: «Für diesen Beruf braucht es primär nicht theoretisches Wissen, sondern ein Flair im Umgang mit Kleinkindern.»
  • Am radikalsten bekämpft Ulrich Schlüer besagte Akademisierung. Der SVP-Nationalrat hält die Pädagogische Hochschule generell für eine Fehlinstitution. Er lobt die früheren Lehrerseminarien, «bei denen die Praxisausbildung noch klar im Mittelpunkt stand». Hauptursache des Lehrermangels sei, dass viele PH-Studierende «gar nicht die Absicht haben, je Schule zu geben, sondern bloss auf einfache Weise zu einem Bachelor kommen wollen».

Der Dachverband der Lehrer sieht das freilich anders. Fuür Zemp ist der Master auf Primarstufe Pflichtprogramm, dies aus den oben aufgeführten Gründen und auch weil die internationale Entwicklung in der Lehrerausbildung sowieso in diese Richtung gehe. In der NZZ ist zu lesen:

«Diesem Trend kann sich die Schweiz nicht entziehen, wenn sie ihre Lehrpersonen nicht schlechter auf dem Arbeitsmarkt stellen will als Lehrer aus den Nachbarlaündern, die zunehmend auch in der Schweiz unterrichten», ist Zemp uüberzeugt. Das Problem des Lehrermangels werde durch die Verlaüngerung bestimmt nicht verschaürft, im Gegenteil: Durch die berufsbegleitende Masterstufe werde das Problem abgefedert, weil Lehrer in Ausbildung im Unterricht eingesetzt werden koünnten.

Wie, ob und wann der Master für Primarlehrpersonen eingeführt wird, braucht wohl noch einige Diskussionen bei Politiker/-innen und Bildungsfachleuten. Den Vorschlag des LCH der berufsbegleitenden Masterstufe (vgl. auch die Umsetzung in Österreich) finde ich jedoch vielversprechend und eben gerade keine Akademisierung, sondern durch die enge Verzahnung der Kooperationsschulen mit den Pädagogischen Hochschulen via die Praxislehrpersonen als „Brückenbauer/-innen“ (vgl. ein älteres Blogposting) eine Chance, die es zu nutzen gilt.

Quelle:
Artikel von Katharina Bracher in der NZZ am Sonntag vom 26. Mai 2013

Dieser Beitrag wurde unter Aktualität, Bildung, Lehrer/-innenbildung, Schule abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*