EARLI 2009 | Teil 1

Die diesjährige EARLI-Konferenz (European Association for Research on Learning and Instruction) fand vom 25.-29. August 2009 in Amsterdam zum Thema: „Fostering Communities of Learners“ statt. Über 2000 Teilnehmende waren an der VU University versammelt. Davon waren immerhin ca. 120 aus der Schweiz, was prozentual zur Einwohner/-innenzahl der Schweiz gar nicht so schlecht ist.

Die Tagung war hervorragend organisiert und was mir besonders gefiel, waren einige – zumindest für mich – neue Formate. So gab es neben den gängigen Symposien, Keynotes und Paperpräsentationen auch sogenannte „Roundtables“ bei welchen Arbeiten vorgestellt wurden, welche mitten im Prozess sind. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik blieben pro Thema noch fast 45 Minuten um intensiv und in kleinen Gruppen die Fragen der Präsentatorin / des Präsentators zu diskutieren.

Ebenfalls gelungen scheint mir die etwas andere Form der Posterpräsentationen. Waren diese nicht wie sonst üblich alle in einem Raum und man kämpfte sich zu dem Poster durch, das einen interessierte, sondern sie waren thematisch gruppiert, so dass nicht mehr als sechs Poster in einem Raum waren. Nach einer kurzen Sichtung aller Poster wanderte die Gruppe dann geführt von Poster zu Poster und die Ausstellenden hatten fünf Minuten Zeit ihr Poster zu präsentieren. Danach konnte man sich nochmals vertiefter und individuell mit demjenigen Poster auseinandersetzen, welches einen am meisten interessierte. Diese Form ermöglicht es, tatsächlich etwas über die Person, die hinter dem Poster steht zu erfahren und auch einen vertieften Zugang zu den Inhalten zu erhalten und nicht in einem Meer von Menschen und Postern zu „versinken“.

Ein drittes Format waren die Workshops, in welchen man sich 90 Minuten aktiv mit einem Thema, einer Fragestellung oder ganz konkret mit einer neuen Software auseinandersetzen konnte.

Gerne stelle ich nun nachfolgend eine kleine Auswahl der von mir besuchten Veranstaltungen vor. Ich habe mich vor allem auf Themen der Hochschudidaktik und der Lehrer/-innenbildung fokussiert, bin jedoch auch in den einen oder anderen ICT-Veranstanstaltung gesessen. Sowieso hatte ich den Eindruck, aber vielleicht täusche ich mich, dass im Vergleich zu anderen Jahren diesmal viel mehr Sessions zu computer-unterstütztem Lernen und auch zu einigen Web2.0 Applikationen angeboten wurden.Netterweise wurde einem diesmal nicht nur ein Tagungsband ausgeliefert, sondern auf einem USB-Stick auch noch alle Abstracts und Proposals, so dass man sich bestens auf die Referate vor- resp. nachbereiten konnte.

Nun aber zum Inhaltlichen:

„Promoting student teachers‘ competences of observation and lesson analysis by developing their perception and understanding of critical lesson events in the pedagogical practicum“ (Edgar Krull, University of Tartu Estonia et al.)

Laut Krull et al. sind Studien, welche die Kompetenz von angehenden Lehrpersonen, Lektionen zu beobachten und zu analysieren selten. Entweder würden sehr spezifische Aspekte der Beobachtung fokussiert oder dann sehr allgemeine. Eine gezielte Beobachtung und Analyse von Lehrerstudierenden von Lektionen als logische und zusammenhängende Einheiten, wurde bisher nicht untersucht. So waren dann auch die Ziele der Studie die folgenden:

  1. to analyze the appropriateness of instructional models belonging to this group for analyzing teaching and lesson activities and
  2. to check experimentally the usefullness of the chosen model for promoting the student teachers‘ competences of lesson observation and analysing.

Krull et al. bezogen sich auf bekannte und zu meinem Erstaunen auch ältere Modelle wie Herbarts Phasen der Lektionsplanung, Hunters Instuktionsmodell, Rosenshines Modell der direkten Instruktion und Gagnés Modell von Instuktionseinheiten. Zudem kamen sie zum Schluss, dass Gagné’s Modell sich am besten für ihr Vorhaben eignen würde, da es universaler sei als andere Modelle.Mittels eines traditionellen Designs mit Prä- und Posttest wurden 12 zukünftige Lehrpersonen in der Experimentalgruppe geschult und 10 verblieben ohne Schulung in Unterrichtsbeobachtung und deren Analyse. Beide Gruppen schrieben ihre Erfahrungen auf und die Berichte wurden mittels Inhaltsanalyse ausgewertet. Resultate wurden in folgenden drei Bereichen erwartet:

  1. Analysis of the average number of words in the initial- and final analysis reports.
  2. Analysis of idea units in the initial – and final analysis reports.
  3. Attitudes towars the training of lesson analysis skills and knowledge of theory.

Die Auswertung ergab, dass die Studierenden mit der Schulung mit der Zeit vertieftere und fruchtbarere Beobachtungen anstellten als die Kontrollgruppe. Jedoch zeigte sich, dass der erwartete Effekt schwächer ausfiel, da die Studierende „nur“ auf folgende drei Fragen in ihren Berichten antworten mussten (1. What was missing in the lesson? 2. What was exemplary in this lesson? 3. What is your overall assessment for this lesson?).

Abschliessend stellten Krull et al. fest, dass sich  Gagnés Modell für eine solche Studie eignet, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen, dass nämlich die Integration von Theorie und Praxis sehr wichtig ist beim Training von Studierenden bezüglich Lektionsbeobachtung und deren Analyse. Diesem Argument stimme ich vollumfänglich zu!

Between Agents and Avatars: Motivation to Learn Using Teachable Agents (Catherine Chase, Stanford University, United States et al.)

Die Präsentation von Chase war ganz anderer Natur, es ging darum wie und ob Studierende zu motivieren sind in Online-Umgebungen zu lernen, in denen sie entweder als Avatere (vgl. Second Life) oder als Agents lernen. Mit dem Aufkommen von neuen Applikationen wie Facebook, Wikipedia, Chatrooms etc. werden auch die Anwendungen je länger je mehr sozial ausgerichtet. Eine Möglichkeit, den sozialen Aspekt dieser Technologien verstärkt(er) zu nutzen, ist eine virtuelle Figur auf dem Computer zu simulieren. Diese kann nach Chase et al. zwei Ausrichtungen besitzen: Agenten oder Avatere.
„Agents are controlled by the computer. Avatars are controlled by the user, tend to represent the user“. Besonders interessiert ist die Forschergruppe jedoch an einer Vermischung der beiden Möglichkeiten: Ein Charakter (eine „Person“) zu konstruieren, welche halb vom Computer kontrolliert wird und halb vom User selbst: genannt „agent-avatar hybrids“. Ein Beispiel eines solchen AA-hyprid ist beispielsweise das Spiel SIMS, welches viele Jugendliche fasziniert. Die Lernumgebung „Teachable Agent„, welche in Stansford entwickelt wurde, gehört zu dieser Kategorie. Ein „teachable agent“ (TA) ist eine Computerfigur, welche von Kindern unterrichtet wird. Er oder sie ist also eine virtuelle Figur, welche einerseits das Wissen der Kinder repräsentiert (wie ein Avatar), aber er oder sie ist auch ein Agent, weil die Figur auch unabhängig vom Kind „denken“ und „argumentieren“ kann (also computergesteuert).

Die Fragestellung der Studie war nun: Welche Konsequenzen für das Lernen und die Motivation ergeben sich, wenn diese beiden Konstrukte (Avatar) und (Agent) verbunden werden?

Interessant ist, wie die Kinder Ta’s in der virtuellen Umgebung „belehren“: Die Kinder müssen eine Concept-Map generieren, welche kausale Beziehungen zwischen verschiedenen Konzepten (meist aus den Naturwissenschaften) darstellen. Zu Beginn sind bereits einige wichtige Kästchen vorhanden, dies ist das Gehirn des TA. Die Figur hat all diese Begriffe in ihrem Kopf, weiss aber nicht, wie sie zueinander in Beziehung stehen. Dies ist die Aufgabe der Schüler/-innen. Dieses Vorgehen – so die Annahme der Forscher/-innen – hilft den Kindern auch ihr eigenes Wissen zu organisieren und die Konzepte besser zu verstehen. Besser, weil sie vernetzt dargestellt werden (concept map) und nicht als isolierte Faktoren, was sich auch mit einigen anderen Studien belegen lässt.Wirklich spannend ist, dass die TAs intelligent programmiert wurden. Sie können also über die Beziehungen zwischen den Konzepten, welche ihnen von den Kindern gelehrt wurden, „nachdenken“. So sind sie dann also unabhängig von ihren „usern“ mehr Agent als Avatar. So können dann Fehler, welche den Schüler/-innen unterlaufen sind, auch wieder ausgemerzt werden.

Zwei Studien stellte Chase vor:
Fragestellung der Studie 1: Are students more motivated to learn for an „other“ than for themselves? When the „other“ is an agent-avatar hybrid?

Es wurden zwei Gruppen gebildet, eine TA-Gruppe in welcher ein agent-avatar hybrid auf der Lernumgebung erschien und eine Avatar-Gruppe, in welcher die Figur nur das Kind „verkörpert“ und beide Gruppen mussten über drei Tage hinweg an einem Thema arbeiten (mit resp. ohne Hilfe des TA). Am letzten Tag gab es einen Papier-Bleistift Test. Ein Hauptbefund ist, dass die TA-Gruppe viel mehr Zeit mit Lesen und Informationen sammeln verbrachte als die andere, so dass sie ihre TA auch gut unterrichten konnten. Und: Die TA-Gruppe schnitt im Leistungstest sigifikant besser ab, als die Avatargruppe (vor allem solche, welche sonst eher schlechtere Schüler/-innen sind! Ob nun die TA-Gruppe mehr motiviert ist, wurde leider nicht thematisiert im Referat, aber dies kann wohl angenommen werden.

Fragestellung der Studie 2:
Why do TA students put more effort towards learning?

Diese Studie war ähnlich konzipiert wie die Vorige, also ebenfalls drei Tage Zeit, um ein Thema zu erstellen resp. die Thematik dem Avatar oder dem TA zu lehren. Interessant sind hier ebenfalls die Resultate. Schüler/-innen welche den TA lehrten, waren mehr motiviert, die eigenen Fehler zu korrigieren und schrieben die gemachten Fehler logischerweise nicht nur sich selbst, sondern auch der virtuellen Figur zu. Die Frage, weshalb die Kinder mehr willens waren zu lernen, beantworten Chase et al. wie folgt:A confluence of three mechanisms:

  1. Ego-protective buffer: the TA takes some of the blame for failure.
  2. Responsibility effect: children want to learn for the sake of their digital pupils.
  3. Effort seems fruitful: the TA’s knowledge can be improved through revision.

Wer mehr dazu lesen möchte, dem ist folgender Artikel zu empfehlen:
Chase, C., Chin, D. B., Oppezzo, M., & Schwartz, D. L. (in press). Teachable agents and the protégé effect: Increasing the effort towards learning. Journal of Science Education and Technology. (download)

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