Bologna-Reform: Quo vadis?

Mitte Mai kam der zweite Zwischenbericht bezüglich der Umsetzung der Bologna-Reform der CRUS (Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten) heraus. Im Vorwort wird die Frage gestellt, ob das Glas der Implementierung der Reform an Schweizer Hochschulen nun „halb voll oder halb leer “ sei. Die Antort lautet: mehr als zur Hälfte voll.

Denn schneller und umfassender als in den Nachbarländern wurden in der Schweiz alle akademischen Studienprogramme auf die modulare Architektur mit einem dreijährigen Bachelor und einem daran anschliessenden eineinhalb- resp. zweijährigen Master erfolgreich umgestellt (vgl. S. 3).

Die Frage stellt sich demzufolge, welches Viertel noch fehlt und dies will der Bericht aufzeigen: Gemeint ist die vertikale Mobilität zwischen den Universitäten und die Durchlässigkeit zwischen den Hochschultypen.

Die CRUS setzte für die Jahre 2009-2011 bei der Weiterführung der Bolognareform drei Schwerpunkte: (1) Studienprogramme und Kompetenzen, (2) Studentische Partizipation und (3) Monitoring. Vor allem interessiert hat mich der erste Punkt bzw. dessen Realisierung. Denn laut Bericht stellt die Outcome-Orientierung der Studienprogramme, ein gutes Jahrzehnt nach der Lancierung der Reform, nach wie vor ein Desiderat dar.

Auch an den schweizerischen Universitäten bleibt dieser Bereich, wie im Rahmen des letzten Monitorings festgestellt werden konnte, entwicklungs- und verbesserungsfähig. Nach wie vor stossen die Universitäten auf grosse Schwierigkeiten bei der Berechnung des studentischen Arbeitspensums auf der Grundlage definierter Lernergebnisse (vgl. S. 9).

Und weiter heisst es im Bericht:

Eine weit verbreitete Fehlinterpretation der Learning Outcomes als erworbene Kenntnisse statt entwickelte Kompetenzen hatte auch die nationale Studierendenumfrage zu den Studienbedingungen an den Schweizer Universitäten von 2008 aufgezeigt. Darin war eine Mehrheit der Befragten der Ansicht, es würden ihnen Learning Outcomes kommuniziert, während sich das Verständnis von Lernzielen auf den thematischen Inhalt der Veranstaltungen beschränkte (vgl. S. 9; zitiert nach CRUS und Verband der Schweizer Studierendenschaften VSS-UNES (2009): Studieren nach Bologna “ die Sicht der Studierenden. Resultate der nationalen Studierendenbefragung zu den Studienbedingungen an den Schweizer Universitäten, Bern, S. 165 f.).

Nun: diese Diskussion ist “ meiner Ansicht nach “ auch schwierig zu führen. Nur schon die Frage, was denn genau unter „learning outcomes“ zu verstehen ist, ist nicht trivial, auch wenn beim Glossar der CRUS unter „Lernergebnisse“ ein einziger Satz steht:

Angaben zu Wissen, Verstehen und/oder Fähigkeiten, die ein Studierender am Ende einer Lernperiode erreicht haben sollte.

Selbstverständlich werden diese auch an anderen Orten definiert. Zum Beispiel bei den einschlägig bekannten Werken wie ECTS Users Guide, den Dublin Descriptors oder dem Nationalen Qualifikationsrahmen nqf.ch“HS). So lautet die Definition von „learning outcomes“ resp. „Lernergebnissen“ im deutschsprachigen ECTS-User-Guide:

Die Lernergebnisse stellen überprüfbare Aussagen über die zu erwartenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen von Studierenden dar, die eine bestimmte Qualifikation erlangt oder ein Programm oder einzelne Komponenten desselben abgeschlossen haben. Somit unterstreichen sie die Verbindung zwischen Lehren, Lernen und Beurteilung (vgl. ebd., S. 13).

Nachtrag vom 3. Juni: Text einer Studentin im NZZ-Blog: Bologna fördert das Denken!

Bologna belastet so lange, bis man sich davon emanzipiert. (Bild: Imago)

Nun steht diese Aussage ja nicht gerade im Widerspruch zu dem, was offensichtlich bei der oben zitierten „Fehlinterpretation“ angenommen wurde. Tatsächlich beschreiben „learning outcomes“ auch die erwarteten Kenntnisse, aber nicht nur, sondern eben auch. Sie beschreiben ebenfalls die zu erwartenden Kompetenzen und Fähigkeiten. Und hier ist nun, meiner Ansicht nach, eben die Schwierigkeit zu sehen, welche viele Dozierende bei der Formulierung haben und welche auch im Zwischenbericht festgehalten ist: „Die angemessene, nicht zu abstrakte oder umgekehrt zu spezifische Formulierung zu finden (vgl. Bologna-Monitoring, 2. Zwischenbericht, S. 10). Und was noch ergänzt werden könnte mit: Die inhaltslogische und im Rahmen der Curriculumsentwicklung sinnvolle Angabe dessen, wozu die Studierenden durch das Studium befähigt werden sollen.

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Dass nun eine Arbeitsgruppe „Good Practice Learning Outcomes“ (GPLO) eingesetzt worden ist, um konkrete Beispiele zu Learning Outcomes mittelfristig als internetbasierte Sammlung in Bereich der Kompetenzenformulierung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, ist sicher hilfreich. Wobei man – laut Bericht – davon abgekommen ist, ein Internetforum zu unterhalten, sondern lediglich einige Musterbeispiele publizieren will. Diese sind jedoch zum heutigen Zeitpunkt (28.5.2012) noch nicht im Netz zu finden.

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die unterschiedlichen Definitionen von „Lernergebnissen“ und „Kompetenzen“ im Europäischen Hochschulraum (vgl. ECTS-User-Guide, S. 14/15):

In Europa werden viele verschiedene Begriffe in Bezug auf Lernergebnisse und Kompetenzen mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen und in leicht abweichenden Referenzrahmen genutzt. In jedem Fall beziehen sich diese jedoch darauf, was die Studierenden nach Abschluss einer entsprechenden Lernerfahrung wissen, verstehen und können sollte (vgl. Glossar der CRUS). Ihre breit gefächerte Verwendung ist Teil des allseits bekannten Paradigmenwechsels, der die Studierenden in den Mittelpunkt der Hochschulbildung rückt.

Innerhalb des Qualifikationsrahmens für den Europäischen Hochschulraum (EHEA “ European Higher Education Area) gelten Lernergebnisse (einschließlich Kompetenzen) als die Gesamtergebnisse des Lernens. Der Rahmen basiert auf den von der Joint Quality Initiative formulierten Dublin-Deskriptoren. Diese Deskriptoren setzen sich aus generischen Aussagen zu typischen Erwartungen oder Kompetenzebenen von Leistungen und Fähigkeiten zusammen, die sich auf die Bologna-Zyklen beziehen. In diesem Fall wird der Begriff Kompetenz in einem breiteren Sinne zur abgestuften Beschreibung von Fähigkeiten und Fertigkeiten verwendet (vgl. hier).

Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen hingegen unterscheidet zwischen Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen. Hier findet die folgende Definition Anwendung: Kompetenz bedeutet die nachgewiesene Fähigkeit, Wissen, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und/oder persönliche Entwicklung zu nutzen. Im Europäischen Qualifikationsrahmen wird Kompetenz im Sinne der Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit beschrieben. In diesem Fall wird der Begriff Kompetenz in einem engeren Sinn als Fähigkeit zur Umsetzung von Wissen in die Praxis verstanden (vgl. hier).

Tuning (Educational Structures in Europe) unterscheidet klar zwischen Lernergebnissen und Kompetenzen, um die unterschiedlichen Funktionen der wichtigsten Akteure innerhalb des Lernprozesses zu verdeutlichen: dem akademischen Personal und den Studierenden/Lernenden. Im Sinne von Tuning stellen Kompetenzen eine dynamische Kombination aus Wissen, Verstehen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen dar, und es wird zwischen fachlichen und generischen Kompetenzen unterschieden. Die Förderung von Kompetenzen bildet das Ziel jedes Lernprozesses und Bildungsprogramms. Laut Tuning bezeichnen Lernergebnisse das vom Lernenden erreichte Kompetenzniveau. Die Lernergebnisse werden vom akademischen Personal formuliert und sollten idealerweise Beiträge interner und externer Interessenvertreter berücksichtigen (vgl. hier).

Auch wenn im Kern überall dieselbe Richtung gemeint ist, unterscheiden sich doch die einzelnen Definitionen. Dass dies für Dozierende nicht immer einfach nachzuvollziehen ist, ist verständlich.

Im Glossar der CRUS wird „Kompetenz“ übrigens wie folgt definiert:

Die Fähigkeit zur angemessenen Anwendung von Lernergebnissen in einem bestimmten Zusammenhang (Bildung, Arbeit, persönliche oder berufliche Entwicklung). Kompetenz beschränkt sich nicht nur auf kognitive Elemente (einschließlich der Verwendung von Theorien, Konzepten oder implizitem Wissen). Sie beinhaltet auch funktionale Aspekte (einschließlich technischen Fertigkeiten) sowie zwischenmenschliche Eigenschaften (z. B. soziale oder organisatorische Fähigkeiten) und ethische Werte.

Kompetenzdefinitionen gibt es noch einige mehr, ich habe in früheren Blogbeiträgen schon einmal darauf verwiesen (vgl. hier oder hier).

Nun: was kann für die aktuelle Praxis aus diesen Ausführungen gefolgert werden? Was für Schlüsse zieht der Zweite Zwischenbericht des Bologna-Monitorings?

Die Formulierung von Learning Outcomes bildet nach wie vor eine Herausforderung, wie im Rahmen der verschiedenen Projekte, die in diesem Kapitel beschrieben wurden, festgestellt werden konnte. Die Nachfrage bei den Verantwortlichen in den Universitäten hat jedoch aufgezeigt, dass für das Konzept der Outcome-Orientierung ein grundsätzliches Verständnis vorhanden ist. Im Rahmen ihres Koordinationsauftrags wird die CRUS weiterhin den regelmässigen Austausch mit den für Curriculum- und Studienangebotsentwicklung zuständigen Stellen suchen. Dazu gehört wie bisher die Veranstaltung gemeinsamer Workshops und neu die gezielte Veröffentlichung von Einzelbeispielen im Sinn von Good Practices auf der Webseite der Koordination Lehre der CRUS. Die grosse Herausforderung liegt darin, über die zentralen Stellen der universitären Verwaltung hinaus auch die Dozierenden in die Aktivitäten zu involvieren. Ein Mittel, um dies zu erreichen, ist der verstärkte Austausch mit den Didaktikfachleuten in den Universitäten, die konkrete Projekte mit den Dozierenden durchführen. Die Implementierung des nqf.ch“HS wird Gelegenheit bieten, die Zusammenarbeit universitätsübergreifend und disziplinenspezifisch in Gang zu setzen (vgl. ebd., S. 17/18).

Da bin ich dann auf die Ergebnisse in zwei, drei Jahren gespannt!

Quelle:

CRUS (2012). 2008-2011: Bologna-Monitoring. 2010/2011 Zweiter Zwischenbericht. Bern: Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten.

 

 

 

 

 

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